2016/11/17

Bodo #112: Lies!

Liebes Bodo,

der Verein "Die wahre Religion" ist seit gestern in Deutschland verboten. Künftig wird es unter dem Motto "Lies!" keine Gratis-Korane mehr abzustauben geben in den Fußgängerzonen der Bundesrepublik.

Weniger das Verbreiten des Wortes des Propheten Mohammed in so ziemlich allen relevanten Sprachen der Erde habe zu diesem drastischen Schritt geführt, läßt mir mein alter Kumpel und Kupferstecher Tommy Dömmesjähr über die Frankfurter Allgemeine Zeitung ausrichten, sondern die hinter den Kulissen des Vereines vollzogene Anwerbung neuer Rekruten für den heiligen Krieg, sowie Aufruf zu Gewalt und Ungehorsam gegen das Grundgesetz.

Ich war Abonnent des YouTube-Kanals von "Die wahre Religion" und kann an dieser Stelle behaupten, den mittlerweile natürlich gelöschten Kanal inklusive aller Videos vermissen zu werden.
Kennst mich ja, Bodo. Ich habs nich so mit Schubladen. Nur weil einer Salafist ist, macht das für mich nicht automatisch alle seine Aussagen illegitim. Verbote von Ideologien haben es niemals geschafft, diese auszurotten. Argumente kann man nur durch Argumente entkräften, niemals durch erzwungenes Schweigen. Beim "Kampf gegen den Terror" ist eine Einarbeitung in die Denk- und Redeweise radikaler Glaubender ganz besonders vonnöten; Aufklärung kann nur funktionieren, wenn sie die Logik des Verklärers kennt und durchschaut hat.

In dieser Hinsicht waren die YouTube-Videos des Vereins überaus hilfreich. Nur wenig vorgefertigte Predigten wurden dort verbreitet; in der Regel handelte es sich um Live-Mitschnitte theologischer Debatten, die sich an den "Lies!"-Ständen über die Jahre hinweg ereigneten. So stritt Oberguru Ibrahim Abou-Nagie nicht nur mit zufällig anwesenden Hausfrauen und migrationshintergründigen Pubertätsopfern, sondern auch mit Professoren, Mönchen, konservativen Politikern und Feministinnen, was für mich als Menschenverstehenwoller nicht nur lehrreicher sondern auch oftmals unterhaltsamer war als jede noch so "seriöse" Sonntags-Talkshow im Ersten.




"Hassgepredigt" wurde, zumindest bei den mir bekannten öffentlichen Veranstaltungen des Vereines, keineswegs ... ruhig und freundlich, ausgestattet mit geradezu engelsgleicher Geduld und Ausdauer beantwortete Abou-Nagie jeden kritischen Einwurf, jede noch so herablassend an ihn gestellte Frage, ohne dabei selbst aufdringlich oder arrogant zu wirken. Er zwang niemanden dazu, an seinen Stand heranzutreten. Wer nur eine Ausgabe des Korans verlangte, ohne weitere Fragen zu stellen, bekam von den Salafisten auch keine ungebetenen Werbeslogans oder Predigten aufgezwungen.
Durch "Lies!" weiß ich jetzt, wie der Salafist den Koran für sich auslegt, wie er zu Christen und Judentum steht, was für eine Rolle Jesus in seinem Weltbild spielt und, viel wichtiger, ich weiß auch, WARUM. Ich verstehe den Konflikt Islam kontra westliche Welt besser als vor meinem Abonnement. Daran kann ich nichts Schlechtes erkennen.

Gleiches gilt übrigens für den Kanal des leidenschaftlichen Islamkritikers Michael Stürzenberger.
Im Gegensatz zu Abou-Nagie gewinnt der zu cholerischen Ausbrüchen neigende Unterfranke auch bei naiven Naturen sicherlich eher selten Sympathiepunkte. Mit seiner ideologischen Nemesis jedoch gemein ist Stürzenberger die Sachkundigkeit. Beide, sowohl Stürzenberger als auch Abou-Nagie, sind voll im Thema, können jedes Argument in ihrem Sinne widerlegen, aben auf (fast) jeden Einwurf eine in sich wenn schon nicht unbedingt vernünftig klingende, dann doch zumindest nachvollziehbare Erwiderung am Start. Wer einen der beiden auf Augenhöhe debattieren will, muß sich einarbeiten, muß vorbereitet sein. Es reicht nicht aus, den zwei einfach die Etiketten "Nazi" bzw. "Terrorist" an die Stirn zu kleben und dann weiter unbedarft seines Weges zu gehen. Wer ihre Argumente nicht entkräften kann, wird ihr Überzeugungspotential mit einem offenkundig haltlosen, aus reiner Sturheit aufrecht erhaltenen Widerspruch nur vergrößern.
Deswegen ist das Zuhören, das Erfassen einer Perspektive, immer der wichtige erste Schritt beim Versuch, eine Verständigung zu erreichen. Schubladen sind kontraproduktiv.

"In einem Papier des Innenministeriums heißt es, DWR sei verboten worden, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte."
~ F.A.Z. "Schlag gegen die Hydra", 16.11.16

Ironischerweise legen Salafisten großen Wert darauf, daß Herkunft, Hautfarbe, sozialer Stand und alles andere, was die Völker normalerweise von der Verständigung abhält, keinerlei Rolle spielt, sofern der Mensch den Islam akzeptiert. Nicht selten wurde in den Videos der "wahren Religion" die Tatsache untermauert, daß sich unter den Unterstützern der "Lies!"-Aktion mehr kulturelle Vielfalt und Stammbaumdeiwörsitti ausmachen läßt als in den Reihen der deutschen Linksfraktion und bei den Grünen. Es gibt immer mehr als nur eine Auffassung von Völkerverständigung und auch der verfassungsmäßigen Ordnung ist mit dem Verbot von Koranverteilungen wahrscheinlich nicht unbedingt gedient.


Was will er jetzt damit sagen, der Samuel?
Soll man einen nachweislich den islamistischen Terror aktiv unterstützenden Verein in Deutschland einfach so gewähren lassen?

Klare Antwort: Nein.
Aber Verbote helfen niemandem.

Was kann man sonst tun, um solche Vereine zu unterbinden?
"Unterbinden" entspricht nicht meinem Demokratieverständnis. Gegenrede durchaus.

Tommy Dömmesjährs Aufgabe wäre es gewesen, neben JEDEM "Lies!"-Stand konsequent Aufklärung zu betreiben. Jedesmal, wenn ein Salafist in der Öffentlichkeit seine Weisheit äußert, muß unmittelbar daneben die Gegenrede zu finden sein. Jeder, der sich einen Koran samt Rose bei den Salafisten überreichen läßt, muß die Möglichkeit haben, nur wenige Schritte weiter ein Flugblatt mit relativierenden Informationen erhalten zu können.
Wenn Dömmesjähr das nicht tut, macht es Stürzenberger. Auf seine Art.






Natürlich kann es dann noch immer dazu kommen, daß sich Menschen dafür entscheiden, für Allah in den Krieg zu ziehen. Daran wird sich durch das Verbot von DWR nichts ändern. Abou-Nagie und die Seinen mutieren nicht über Nacht zu überzeugten Christdemorakten, nur weil ihr Verein verboten wurde.
Radikalisierung ist ein sozialer Prozess und nur soziale Prozesse können ihm verlässlich entgegenwirken. Judikative Intervention eignet sich nicht als Mittel zur Überzeugungsbildung, jedenfalls dann nicht, wenn die höhere Autorität - das Göttliche - der von Menschen gemachten Rechtsordnung gegenüber steht.




Zehntausende Ausgaben des Koran, versehen mit dem Vereins-Logo der "wahren Religion" wurden bei der dem Verbot vorausgegangenen Großrazzia bundesweit sichergestellt. Sie sind jetzt Eigentum des Staates.
Was fängt Dömmesjähr mit diesen Büchern an?
Recycling? Wohl kaum. Obwohl "Lies!" bei uns jetzt als verfassungsfeindliche Organisation verboten wurde, bleibt der Koran nach wie vor die heilige Schrift ALLER Moslems ... und Erfahrungswerte zeigen, daß auch als gemäßigt geltende Solche überaus empfindlich reagieren auf Entweihung ihrer Glaubensgrundlage.
Hat Dömmesjähr genuch Eier, dasser einfach die Cover überpinselt und die Bücher dann verteilt ... gratis ... in Moscheen?! Fänd ich ja geil, wäre für seine Glaubwürdigkeit als Verfassungsschützer allerdings eher suboptimal.
Wenn derlei Problematik nicht überdeutlich vor Augen führt, wie schizo unser Umgang mit Religion geworden ist ... wie dringend es einer grundsetzlichen Überarbeitung unserer Empfindlichkeiten bedarf ........
....
tja, dann stößt meine Rhetorik hiermit an ihre Grenzen.

See ya.

Keine Kommentare: