2017/08/16

Bodo #122: Ausfahrt nach Auschwitz

Liebes Bodo,

in Filterblasen leben wir. Jeder bläst nur noch den eigenen Schwanz. Gesinnungsinzest! Abstoßend!
Die Rechten filterblasen sich einen, ebenso wie die Linken. Und wer wie ich zwischen den Blasen steht und ab und an trotzdem mal einen geblasen haben möchte, muß sich auf Einbürgerung in Filterblasen einlassen, weil niemand mehr bereit zu sein scheint, aus seiner jeweiligen Blase herauszublasen.
Nicht mal der Gedanke scheint den meisten zu kommen.

Ob das Kommen beim Blasen wohl bereits Grenzen überschreitet?


Shahak Shapira.

Der mit den Hasstweets.

Hat ne Weile gedauert, bis ich mir sicher war, seine Person betreffend unsicher genug zu sein für eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Materie.
War am Anfang ne klare Sache für mich: Der Typ soll sich flachpfeifen! Zensur läuft nich! "Hasstweets" müssen ausgehalten werden. Freies Land, freie Gedanken, freie Meinungsäußerung!

SPOILERALARM!
Ich bin dieser Meinung nach wie vor.
Das ist nicht der Knackpunkt.

Knackpunkt:
ich habe mein Urteil zunächst gefällt, ohne mich mit den Details eingehend beschäftigt zu haben.
Übersetzung:
Hab mir einen filtergeblasen und mir nix dabei gedacht!!!
Das geht so nicht.
Ich stelle höhere Ansprüche an mich selbst ... eine Aussage, die, wenn sie von MIR kommt, durchaus Gewicht vermitteln sollte.

Also, gehen wir's an, Komm-padres.

Was waren das denn nun für Tweets, die Herr Shapira aus Protest gegen die nicht erfolgte Löschung ebenjener seitens Twitter vor deren deutsches Büro auf die Straße sprühte?!

So ganz hundertprozentig genau weiß ich das nicht.
Waren am Ende nur 30 von insgesamt über 300, die er vorher bei Twitter ergebnislos bzw. ergebnisoffen abgemahnt hat.

Zu diesen 300 jedoch zählen u.a. folgende Beispiele:

"Sone Leute wie dich sollte man vergasen du Missgeburt"
~ @kevimsYT

"kill all the gays and faggots"
~ @EriSchnee

"Get those dirty sand niggers. They are pure scum."
~@Napal_E_Exposed

"Islam und Intelligenz sind nicht miteinander vereinbar."
~@Carnolie


Heftige Aussagen, ganz ohne Zweifel.
HASSTWEETS!
...
Jaaaaaa ...
...
Zunächst mal: ganz unabhängig davon, wie man zum Hass als Emotion rational eingestellt ist, er ist Teil der menschlichen Natur und wird nicht vergehen, nur weil man seine Auswüchse ausblendet. Wer wirklich denkt, Löschungen zu erzwingen sei ein wirkungsvolles Vorgehen gegen den Hass, hat Auschwitz definitiv nicht oft genug besucht, zieht die falschen Schlüsse aus der deutschen Geschichte.
Druck, der nicht entladen wird, baut sich auf und führt am Ende zu einer katastrophalen Explosion. Ein Argument, welches auch Shapira nutzt in einem Interview mit der FAZ, allerdings aus einer anderen Perspektive:
"Du darfst es machen, niemand sagt etwas. Dann schreibst du es irgendwann nicht mehr nur noch auf Twitter, dann machst du es in der echten Welt. Und dann wird es gefährlich."
Ein fehlerhafte Analyse der Lage, würde ich meinen ... und das nicht nur, weil Twitter und die "echte Welt" mitnichten unabhängig voneinander funktionierende Paralleluniversen sind. Hass entsteht nicht im Netz, er wird von der "echten Welt" ins Netz getragen und überall dort formuliert, wo es soziale Interaktion gibt, online UND offline, seit Anbeginn der Zeit(rechnung mindestens).
Viel wichtiger für den Kontext ist jedoch der Absatz "niemand sagt was".
Niemand sagt was, deswegen VERBOT!
Keule, ernsthaft ...
Verbote SAGEN auch nichts.
Denunziation??? Andere bei der nächsthöheren Instanz anzuschwärzen ... am berühmt-berüchtigten "längeren Hebel" zu ziehen ... ist keine Stellungnahme, sondern eine Form der Unterdrückung, erzwungene Demonstration (moralischer) Überlegenheit. Eine Ohrfeige, sicher, aber keine Ohrfeige, gegen die sich der Gefeigte zu wehren vermag. Das wird er dann als "unfair" empfinden und der Hass in ihm wird wachsen, Zweifel an seiner Einstellung werden in ihm ab- und nicht aufgebaut.

Keine Lösung des Problems sei derlei Maßnahme, aber ein erster Schritt, höre ich jetzt einige meiner Leser laut und deutlich denken; eine häufig verwendete Floskel in solchen Fällen.
Ein erster Schritt ist es ganz bestimmt ... und zwar in Richtung Neusprech, Politknigge, Verhaltensabgleich, Nordkorea.
Wehret den Anfängen INDEED!

Wäre Shapira wirklich an Widerstand gegen den Hass interessiert würde er  nicht medienwirksam-lutheresk 30 Twesen vor dem verkacken Twitter-Büro aufhäufeln oder wie ein verbitterter Sittennazi jeden unliebigen Aspekt des freien Denkens mit AUSRRRRRADDIERRUNG drohen als sei es das Natürlichste vonner Welt, sondern Hasstweet um Hasstweet mit Gegenrede überziehen, bis dem Verfasser die Filterblase platzt.
Ineffektiv sei das? Zu viel Zeit und Aufwand in Anspruch nehmen würde es?
Gefällige Ausrede eines gefälligen Weltbildes. Das Krebsgeschwür nicht ewig lange bestrahlen oder mit Chemikalien ersäufen oder sonstwie behandeln ... einfach den Tumor mit Photoshop aus der Röntgenaufnahme friemeln und BUMS, Problem is gelöst, niemand muß mehr böse Dinge mit ansehn, alles ist supiiiiii, WinWinWinWinWIN.


Schon die Tatsache, daß sich unter den angeprangerten "Hasstweets" Shapiras die Aussage
"Islam und Intelligenz sind nicht miteinander vereinbar" 
finden läßt, weist ihn als mangelhafte Instanz für Moralkeulenkompetenz aus. Der Tweet mag nicht den gängigen gesellschaftlichen Richtlinien entsprechen, aber HASS ist für mich in dieser sachlichen, bodenständig formulierten Äußerung nicht zu erkennen.
Die Ansicht, Jahrhunderte alte Regeln eines nicht nachweislich existenten Gottes willentlich unverändert in Zeiten von Aufklärung und Wissenschaft als hohes Kulturgut zu zelebrieren könne eventuell mit Dummheit gleichsetzbar sein, ist weder irrational noch (wissenschaftlich) unfundiert.
Ich stimme diesem Tweet vollinhaltlich zu!

Hätte die Aussage
"MOSLEMS und Intelligenz sind nicht miteinander vereinbar" 
gelautet, wäre ein gewisses Hasspotential durchaus ableitbar gewesen, aber ach, Details sind lästig, Aktionskunst ist "avantgarde", who gives a shit, NAZIS ALLÜBERALL!



"Okay, wenn Twitter mich zwingt, diese Dinge zu sehen, dann müssen sie es auch zu sehen bekommen."
Shapiras Handlungsmotivation, in eigenen Worten auf den Punkt gebracht.

Sorry, aber ...
Twitter zwingt niemanden, irgendetwas zu sehen. Tweets, die man nicht mag, lassen sich leicht ausblenden, Verfasser solcher Tweets mit zwei Klicks dauerhaft blockieren. Die Mitgliedschaft ist ebenso freiwillig wie das Lesen von Timelines; außerhalb der Plattform werden Tweets zwar auf Websites und in Mitteilungen eingebunden, dann aber nach Auswahl der jeweiligen Betreiber, für deren "Geschmack" Twitter als Anbieter eines Werkzeugs zur Kommunikation nicht verantwortlich gemacht werden kann. Würde ernsthaft jemand den Hammerhersteller verklagen, wenn er zu blöd ist, das Ding richtig zu benutzen und sich selber damit die Finger zu Brei kloppt?
Klar. Spinner gibt's immer. Muß man deswegen aber nich alle gleich zur Staatsaffäre hochschreiben.

Du wirst in dieser Welt viele Dinge erblicken, die dir nicht gefallen werden, Shapilein. Es nennt sich "Leben". Ein Recht auf unverletztes Ästhetikempfinden gibt es nicht, wird es nicht geben und selbst wenn doch, dürfte es in der Praxis kaum durchsetzbar sein, erst recht nicht in einer Gesellschaft, die sich als "freiheitlich" und "demokratisch" begreifen will.
Hör also gefälligst mit der Photoshop-Scheiße auf, großer Künstler, und fang an, das Geschwür anzugehen. Ansonsten kann ich dich nicht ernst nehmen und muß mich im Zweifel sogar vor menschlichen Abschaum stellen, um meine Überzeugung gegen dich und deine fehlgeleiteten "ersten Schritte" zu verteidigen.

Zwing mich nich dazu!

Ihr alle nich!

Bitte.

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