2021/02/03

Bodo #136: Leidenschaft, die Leiden schafft


 

So viele Gedanken. Alle kreuz und quer über Denkprozesse verteilt, die nur schwerlich ineinander greifen; kohärente Textverformung unnötig verkomplizieren. Deswegen existiert Bodo. Keine Regeln, keine Noten, keine Notwendigkeit, Inhalt mit Ästhetik zu kreuzen. Setzt die Latte des eigenen "Leistungsanspruchs" niedrig genug, um sie im Zweifel nehmen zu können, auch wenn das Endergebnis vielleicht niemals wahrgenommen wird aufgrund des eigenwilligen Schriftbildes. Die Alternative heißt zu häufig, gar nicht zu schreiben. Aus gutem Grund. Dieser Grund hat offenbar einen geläufigen, allgemeingültigen Namen. 

Feigheit.


Abstoßende "Pep Talks", wie den obigen Solchen, findet man erschreckend häufig im Netz. Im Fernsehn. Podcasts. Aus allen politischen Lagern, aus allen gesellschaftlichen Schichten und Glaubensgemeinschaften schallt die rhetorische Frage empor: "Wer trägt Schuld an deiner Misere?" 

Ich allein. Dies sei die einzig richtige Antwort. So hättens sie's gerne, Bodo. 

Ich allein! 

  

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Achtung, Antithese! 

Kopp einziehen, Schnauze halten und Erdulden lernen!

Das Gebot der Eigenverantwortung und seinem rhetorisch zu Tode vergewaltigten Synonym "Freiheit" nützt hinterhältigen Minderheiten, die leichtgläubige Mehrheit gegen ihre eigenen Interessen zu bekehren. Wenn das Individuum alleine Verantwortung trägt für alle negativ belegten Erfahrungen und (Gemüts-)Zustände, besteht kein Grund für Widerstand. Im Gegenteil: Anstrengung zur Perfektionierung von Anpassung soll die Botschaft sein; wer nicht zurecht kommt mit der Welt und sich selbst, wer am Leben nach den Gesetzen der Leistungsgesellschaft scheitert, steht entweder wieder auf, um erneut mit Vollgas gegen eine Mauer Stacheldraht zu rennen, oder aber bleibt liegen und ist "Feigling", jetzt und in Ewigkeit. "Feigling" sein ist nicht lebenswert. Niemand will bzw. darf mit "Feigling" fraternisieren. "Feigling" bildet die unterste Schublade, noch unter "Versager" - "Versager" hat's wenigstens versucht, immer wieder, bis hin zum Erschöpfungssuizid - noch unter "Idiot" - "Idiot" wußte es nicht besser und konnte entsprechend nicht anders handeln - ja sogar unter "Nazi", weil Ideologie bekanntlich verblendet und somit zumindest eine kleine Teilschuld am sinistren Treiben aberkannt werden kann.

"Feigling" jedoch hätte ES schaffen können, schaffen müssen. "ES" definiert sich über Parameter, denen kollektiv Wert beigemessen wird; in der Regel kann man "ES" herunterbrechen auf Reichtum, Einfluss und außergewöhnliche Leistung, wobei Reichtum nicht unbedingt materiell beschaffen sein, Einfluss nicht unbedingt in Amt und Würden liegen und Leistung nicht unbedingt gleichbedeutend sein muß mit Arbeit. 

Grundsätzlich kann ES jeder erreichen. Wer ES nicht erreicht hat, will es nicht eifrig genug. Klingt irgendwie vertraut, oder?

Klingt nach einer dieser Sekten, wo dir Schamanenhäuptling Bubba Schabubu taglang nachtquer eintrichtern tut, dein Krebs im Endstadium ginge von allein wieder wech, wenn du reinen Herzens aufrichtig und insbesondere ausdauernd genug zur Gottheit des rosablassblau Dornenbäckchens betest. Gehste trotzdem drauf, hastes halt nich dolle genuch versucht. Wer hat Schuld? Du allein! Entweder aufgrund deiner mangelnden Hingabe zum Sektenirrsinn, die deine Gottheit nicht zum Tumorschrumpfen hat überzeugen lassen, oder eben aufgrund deiner intensiven Hingabe zum Sektenirrsinn, die dich vom Arztbesuch abgehalten hat. Unterm Strich biste gearscht, die Bank gewinnt immer.

"Feigling" geht weder zum Arzt noch zum Gottesdienst. "Feigling" stirbt einfach so. Was erlaubt sich "Feigling" da eigentlich? Wie kann "Feigling" nur dermaßen unvernünftig sein? So dermaßen schwach und gebrechlich?! Unser Omma hat früher 48 Stunden am Tag gerackert und geschuftet und noch im hohen Alter jeden Abend von Obba feste aufs Maul bekommen. Und? Hat's ihr etwa geschadet?!? Über 90 Jahre alt isse geworden! Nich einmal war sie krank! Gelobt sei, was hart macht!

Würde man nämlich damit aufhören, das Abhärten zu geloben, wäre die Leistungsgesellschaft über Nacht komplett am Ende. Wenn alle die Waffen strecken würden, noch bevor das Leben Gelegenheit hatte, unser aller Astralleibchen bis zur Unkenntlichkeit zu durchlöchern, wären Veränderungen unabdingbar, im großen Stil. Das darf nicht passieren! Unter GAR KEINEN UMSTÄNDEN!

Im Kern dieser dummen, ideologisch verblendenden Idee steckt natürlich weit mehr als nur gefällige Massenbeeinflussung, sogenanntes "Framing". Sowas ist relativ leicht zu durchschauen, verläuft immer nur in eine Richtung, von "oben nach unten". Der "Feigling"-Kniff ist ein besonders hinterhältiger Fiesling, weil er schon mit der sinnbildlichen Muttermilch aufgenommen wird. Weil er logisch klingt, leicht zu vermitteln und praktikabel genug ist, um ausreichend Vorbildcharakter(e) zu erzeugen. Weil er aus allen Richtungen kommt. Wenn sich alle einig sind, muß was dranne sein! 

...

 

Ich mag mich nicht, wenn ich Vokabeln gebrauche wie "Leistungsgesellschaft" oder "Massenbeeinflussung". Zeigt auf, wie stark ich selber schon dem (Sozial-)Mediensprech erlegen bin.

Erkläre die Dinge lieber mit meinen eigenen Worten, Bodo.

Hier also jetzt meine eigenen Worte.

Die Sache mit dem "man muß mit sich selber und der Welt klar kommen" liegt mir schwer auffer Seele drauf, seitdem eine Person, die mir wichtig sein tut mir das so gesagt hat und obendrein gesagt hat, sie verurteile aber trotzdem niemanden, der das nicht kann. Letzteres mußte sie dazu sagen, weil sie sich als politisch links empfindet. Damals fand ich das irgendwie tröstlich. Mittlerweile ist mir klar geworden, wo sie sich ihr "Unterlassungsurteil" getrost achtkantig reinstecken kann!

Nein, falsch. Mir ist das schon seit sehr langer Zeit klar. Ich vergesse es nur, immer wieder, muß es mir mühsam neu erschließen, immer wieder, weil das Dauerbombardement "Feigling" meine Sinne ertränkt, meinen Verstand verklebt. Egal wohin ich mich auch wende, um ein wenig Ruhe und Gelassenheit zu erfahren, schmiert mir die Welt eine neue Portion "Feigling" über den zerebralen Datenstrom, bis nur noch die Flucht bleibt in Dunkelheit und Stille, die mich beide so stark zermürben, daß ich froh bin, wieder eine neue Schicht "Feigling" erhalten zu dürfen, solange sie ablenkt, betäubt, Sinn vermittelt, und sei dieser noch so trügerisch.

 "Wer trägt Schuld an deiner Misere?"

Viele. Meine Eltern, mein Körper, meine soziale Situation und deren Ursachen. 

Ich selbst, weil ich nicht in der Lage war und bin, ES zu schaffen.

Aber ich weigere mich, in diesem Moment, bei klarem Verstand, ohne Reue oder Zweifel, Schuld weiterhin in diesen destruktiven Denkmustern zuzuweisen.

Meine Eltern tragen keine Schuld. Mein Körper nicht. ICH NICHT!

Schuld trägt EINZIG UND ALLEIN diese elende Scheiße hier ...


... sowie alle ihre PredigerInnen!

"Feigling", steh nicht wieder auf! Bleib liegen, wenn du nicht mehr kannst! Gehe nicht über deine Grenzen zur Aufrechterhaltung des Status Quo, ganz egal, wie häufig man dich dafür erniedrigt! Sei kein Sklave der Erwartungshaltung anderer, noch deiner eigenen.

YOU'RE SMARTER THAN THAT!


...

...

Hab's nich wirklich gut erklärt, Bodo. Tobt schon wieder Unwetter im Gedankenstadl.

Klingt nach Snowflake-Arschbrand, mein Geschreibsel. Nach Verbitterung. Als sei ich hauptsächlich über die Tatsache empört, dass man die tausendfach Zurückgelassenen als "Feigling" brandmarkt. Das is aber echt nich der springende Punkt. Hätte mich vielleicht weniger starr auf den "Feigling" fokussieren sollen, wegen Glaubwürdigkeit und so.

Hach ja ... kanns grad nich besser.

Werd für heute Schluß machen und mich nächstes Mal ausführlich mit Reichtum, Einfluss und außergewöhnlicher Leistung beschäftigen und Gründen dafür, warum man alle 3 nach Möglichkeit meiden sollte.

Gründe, die wo nich "Feigling" heißen.

Vielleicht wird meine Position dann verständlicher. Vielleicht auch nich. Vielleicht fühl hinterher nur ich allein mich besser.

So wie ein gestandener "Feigling" das eben zu tun pflegt, schätze ich. 


Bis dahin. 

Liebe Grüße von Samuel.

"Feigling" aus Leidenschaft.

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