Liebes Bodo,
wir müssen über Kunst reden. Filmkunst. Nicht wirklich, aber ehrlich.
Ich mag es nicht, wenn Leute Filme mögen, die sie nur deswegen mögen, weil sie sich im Klaren darüber sind, dass sie die Filme mögen sollen und müssen, wenn sie nicht innerhalb ihres Freundeskreises gemobbt werden wollen.
Hast du jemals "Se Leuchthouse" gesehen? Ist ein Film von Angesagter G. Kunstfilmhersteller. Da geht's um zwei Kerle im Leuchtturm, die frustriert sind über den Mangel an Farbe in ihrem Leben. Schwul sind sie außerdem, aber nur im unterdrückten Subkontext. "Themes" nennt man sowas. Plot spielt im Vordergrund. "Themes" spielen im Hintergrund, auch bei ausgeschaltetem Ton, im Gegensatz zu den "Themes", die zusätzlich zu "Themes" im Hintergrund spielen, aber nich im Untertitel, im Subtext ohnehin nur offenkundig. Ist verwirrend, ich weiß. Deswegen sag ich zu "Themes" gerne auch mal "Dudel", um sie von "Themes" im Sinne von Bedeutungsschwangerschaft ohne anstehenden Geburtstermin besser unterscheiden zu können. Das geht natürlich nich im Gespräch mit in der Materie Angelernten, "Aufgeklärten". Wenn du denen was erzählst von "Dudel" halten die dich sofort für "Dödel". Das ist Teil des Problems.
Angesagter G. war in derselben Filmschule wie Angelernte Aufgeklärter. Beide wurden sie am gleichen Filmmaterial der Vergangenheit ausgebildet. Beide erkennen sofort, wenn der jeweils andere eine Anspielung an jenes Ausbildungsmaterial handwerklich zitiert und finden sich selber dann hochwertiger als der Rest des Publikums, einfach nur, weil ihr Gedächtnis funktioniert und nich jeder Mensch auf der Welt Teil hat haben können an elitärer Kunstaufklärung. Mit derselben Begründung könnte man sich auch elitär fühlen, nur weil man Lesen kann. Ist nämlich keine Kunst, wenn man's lernen mußte. Filmschule gehörte halt in Deutschland leider nich zum Lehrplan seinerzeit. Sonst wär ich heute selber elitär. Stell dir das ma vor, Bodo ... wir zwei Seite an Seite mit Hinterseite von Christian Lindner. Gruselisch, wa?
Mal ganz abgesehen davon, also wenn man da ganz alleine drauf kommt, dasses im Leuchtturm um Subtext geht ... warum issat Kunst?
Sex und Tod. Menschen sind besessen von Sex und Tod. Läuft im Prinzip alles auf diese beiden Konzepte hinaus, gerade in der Filmkunst. Beide Konzepte sind banal. Ficken ist banal. Sterben ist banal und obendrein auch noch unangenehm. Warum muß ich mich ständig und überall mit diesen Konzepten auseinandersetzen, obwohl ich doch eigentlich nur einen Film sehen wollte über Meerjungfrauen im Leuchtturm?
Die Herren Aufgeklärter und Kunstfilmhersteller sehen das natürlich ganz anders. Tod ist ja nich nur tot, sondern im Subtext auch krank, degeneriert, ausgestoßen, herabgewürdigt und Zeuch, während Sex offenbar viel mit Selbstfindung, Reife, Erfüllung oder eben auch den entsprechenden Hürden im Lebenswege zu tun hat. Intellektuell stimulierend scheint es zu sein, wenn die Meerjungfrau im Leuchtturm nich nur Meerjungfrau am sein tut, sondern auch Hoffnung auf göttliche Teilhabe am Kosmos räpräsäntiert oder im Zweifel die Schrecken des dritten Reichs.
Im Zweifel immer Nazis! Bringt dich durch jede noch so kniffelige Interpretationsklausur. Kleiner Tipp am Rande.
Insbesondere bei sich intellektüll fühlenden Frauen kommen solchen Doppel- bis Trippelbödigkeiten extrem gut an, was dann unterm Strich wieder zu Sex führt. Und irgendwann zwangsläufig zum Tod. Banal. Der Mensch kreist um sich selbst, weil er nix anderem genug Gravitas zugestehen mag. Wäre die Menschheit sowohl unsterblich als auch geschlechtslos, was bliebe übrig von ihrer Kunst, ihrer Identität? In der Filmkunst jedenfalls wenig bis gar nichts, würde ich meinen.
Leid. Glück.
Zählt Leid zum Grundkomplex Sex oder doch eher zu Tod? Schwierig. Ist Mensch beim Ficken glücklicher als beim Verrecken? Kommt mitunter auf den Kontext an. Nicht alles lässt sich in Schwarz und Weiß aufgliedern. Die Lösung des Horizontenhirns dafür heißt "grau". Nach Grau wird alles hin endgelagert, dass wo nich ins Grundkonzeptspektrum passen tut. Herr Kunstfilmhersteller liebt das Grau. Das Grau ist geduldig. Wenig kann anbrennen, viel wird vorbehaltlos akzeptiert. Spielplatz für Experimente. Dauerwohnsitz aller Interpretanten und- onkels.
Der Dödel fühlt sich im Grau verloren. Er will an die Hand genommen werden, den richtigen Weg gezeigt kriegen. Aber genau darum geht's ja im Grau: selber einen Ausweg finden, selber wissen, was zu tun, zu denken, zu empfinden sich geziemt. Wer Hilfestellung braucht, ist unwürdig. Bemitleidenswert. Abstoßend.
Weder Mitleid noch Abscheu führen zu Sex. Nichma zwangsläufig zu Tod. Muß unter allen Umständen vermieden werden, Mitleid und Abscheu. Ohne Bumsen ist dein Leben nix mehr wert, erst recht nich nach dem Tod ... wer will schon als Dödel in Erinnerung behalten werden, ohne daran jemals wieder etwas ändern zu können?
Sex war mir immer ein Rätsel. Tod ist ein Schreckgespenst ohne Zähne, wenn das Leben mit dir fertig ist. ...
Haben ... Gespenster Zähne? ... Whatever .... Der Punkt ist ...
Angst.
Ein weiterer Teil des Problems. Der Hauptbestandteil.
Angst ist einfach zu thematisieren, aber so schwer zu begreifen. Angst ist der vierte Boden unter jeder Trippelbödigkeit. Selbst das Verstehen wollen von Angst ist immer mit der Angst davor verbunden, Angst nicht verstehen zu können. Niemand ist immun. Das "Überwinden" von Angst gilt als großer persönlicher Erfolg. Das Überwinden von Angst ist unmöglich. Teilbereiche von Angst lassen sich zeitweise gegen andere Teilbereiche ausspielen, mehr is nich drin. Wahrhaft überwinden kann man Angst nur durch den Tod. Angeblich. Hoffentlich. Vorübergehend vertreiben lässt sich Angst mit Sex, sowohl im Wortsinne als auch sinnübertragend. Die Beschäftigung des Laien mit Angst, sogenanntes "Kopfkino", kann negative Empfindungen verstärken und positive Aspekte an Leben, Sex, Tod und Angst zunehmend abstrakt erscheinen lassen. Eine Einsicht, die jeder teilen kann und trotzdem niemandem wirklich hilft. Der Profi analysiert Angst und kann häufig vor lauter Baumrindenbeschaffenheitsvernarrtheit den zugehörigen Wald nicht sehen, sofern das Vorhandensein eines Waldes überhaupt noch in Betracht gezogen werden mag.
Angst ist Endgegner. Von Anfang an. Angst ist geschlechtslos. Unsterblich. Unbesiegbar.
Angst vereint Sex und Tod, durchzieht alle menschlichen, nicht-menschlichen und übermenschlichen Bestrebungen, besonders aber das Unterlassen derselben.
Ich weiß das.
Wissen hilft mir nicht.
Weil mir Wissen nicht hilft, hab ich eine Abneigung dagegen entwickelt.
Weil ich Wissen nicht mag, werd ich immer Dödel bleiben. Das macht mir Angst.
Sex und Tod hab ich hinter mir gelassen. Angst ist noch immer hier. Überall.
Filmkunst steckt voller Angst. Häufig unbeabsichtigt, im Text unter dem Subtext. Herr Kunstfilmhersteller arbeitet Angst ein, in jede Sekunde Material. Angst, den Geschmack von Frau Angelernte zu verfehlen. Angst vor Deadlines, Budgetüberschreitung, dem verdächtigen, dauerhaften Schmerzimpuls im Enddarmbereich, der Neigung zu Affären seiner Ehefrau, die aufgrund seiner harten Arbeit viel zu häufig unbeaufsichtigt allein daheim verbringt ... die Liste ist endlos.
Herr Aufgeklärter hat eine ganz ähnliche Liste. Wie könnte er nicht?
Menschheit. Hoffnungslos?
Gelassenheit.
Gelassenheit kann eine mächtige Waffe sein im Kampf mit dem Endgegner. Natürlich besteht auch bei magischen Schwertern keine Siegesgarantie. Angst hat Angst vor magischen Schwertern. Das ist ein Fakt. Man kann's ihr heimzahlen, der widerlichen Fotze!
Gelassenheit haben? Gottesgeschenk. Selten. Unbeschreiblich wertvoll.
Gelassenheit erlernen?
Tja, an dieser Stelle kann ich nicht weiterschreiben. Ich lebe dafür, Gelassenheit zu erlernen. Seit mindestens 10 Jahren. Keinen Millimeter Fortschritt kann ich vorzeigen.
Filmkunst hat mir nicht geholfen. Themes haben mir nicht geholfen. Dudel hilft nur in Kombination mit Suff. Suff ist teuer und nicht von Dauer. Drogen auch. Habe viele Laien befragt; Profis um Anleitung gebeten. Die Laien raten mir zu mehr Drogen, die Profis bestehen auf Entzug.
Ein wirrer Text voll Pathos. Ähnlich wirr wie meine Klarheit, pathetisch wie mein Selbstbild.
Wenn Gedanken komplex genug werden, um den Status von Krankhaftigkeit zu erreichen, scheint möglichst banales Gegengift indiziert.
Auch das hab ich versucht. Banaler als Sex und Tod. Jenseits der Angst.
Die Erkundung dieses Weges wurde bislang nicht hinreichend bewertet. Überflüssig oder erfolgversprechend? Ich kannes nich sagen. Weiß aber nich mehr, wo im Grau ich sonst nach Auswegen suchen soll.
Bodo präsentiert: "Irrwege eines Dödels auf der Suche nach Gelassenheit." Hauptprogramm für 2025.
Eintritt kostenfrei. Wir wünschen gute Unterhaltung.
Hör auf damit! Du machst dich lächerlich ...
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