2019/10/08

Selbstgespräch von Anderswo


Samuel: „Ok, du bist der mit Abstand fetteste Augenkrebs, der hier im Umkreis frei rumläuft. Wie fühlst du dich dabei?“

Samuel: „Och, ich bin eigentlich ganz zufrieden.“

Samuel: „LÜGE! Das geht nämlich gar nich, sagt das Internet. Wie kann man mit einem solchen Breitarsch glücklich sein? Unmöglich!“

Samuel: „Von ‚glücklich‘ hab ich auch nix gesagt.“

Samuel: „AHA! Wir halten also fest: Adipositas macht unglücklich!“

Samuel: „Immer diese widerliche Schwarz-Weiß-Denkerei. Das Leben vereint mehr Graustufen in sich als unsere Sprache Ausdrücke für diese kennt.“

Samuel: „Ist das Glück eine dieser Graustufen?“

Samuel: „Glück ist ein emotionaler Ausnahmezustand. So wie Trauer oder Wut. Macht dich unglaublich high, ist aber nicht von Dauer.“

Samuel: „Willst du damit sagen, Glück ist eine Illusion?“

Samuel: „Nein, Glück ist ein erreichbarer Zustand. Nur eben kein haltbarer. Glück agiert wie ein Vergewaltiger. Es packt dich rücklings am Halse, wenn du am wenigsten damit rechnest. Es nudelt dich ordentlich durch, bis es genug von dir hat … und dann läßt es dich gebrochen und wehrlos im Straßengraben liegen, um sich ein neues Opfer zu suchen.“

Samuel: „Wurdest du vom Glück vergewaltigt, mein Freund?“

Samuel: „Oft genug, um begreifen zu können, daß das Streben nach Glück keine Priorität haben sollte.“

Samuel: „Sondern?“

Samuel: „Zufriedenheit. Es gibt nichts Besseres.“

Samuel: „Kannst du das ein wenig für uns ausführen?“

Samuel: „Wer ist ‚uns'“?

Samuel:“Oh, ich will dieses Gespräch morgen in einem Blog, den ich heute noch nicht kenne, als Kommentar veröffentlichen.“

Samuel: „………….“

Samuel: „Was is?“

Samuel: „Nichts, was ich von dir nicht gewohnt sein sollte.“

Samuel: „Arschloch!“

Samuel: „Masochist!“

Samuel: „Können wir dann bitte zum Thema zurückkehren? Was is so dolle an Zufriedenheit?“

Samuel: „Im Gegensatz zu Glück ist Zufriedenheit beständig. Sie verläßt dich nicht, nur weil du ab und an emotional entgleist, läßt dabei aber durchaus Höhepunkte zu. Man kann permanent zufrieden sein UND gelegentlich Momente des Glücks erleben. Der Umkehrschluß dagegen funktioniert nicht; permanentes Glück ist unerreichbar.“

Samuel: „Warum?“

Samuel: „Ist das wirklich so wenig offensichtlich? Glück definiert sich über den (Gefühls-)Höhepunkt, der wiederum nur in Relation zum ‚Normalfall‘ existieren kann. Permanentes Glück würde den Höhepunkt zum Normalfall machen und sich somit selbst negieren.“

Samuel: „Wäre permanentes Glück nicht aber trotzdem ein guter, ein erstrebenswerter Normalfall?“

Samuel: „Glück wird nur deswegen als etwas Positives empfunden, weil es sich vom als gewöhnlich geltenden emotionalen Zustand abhebt. Oberhalb des Glücks gibt es nichts mehr zu erreichen. Wenn dies zum Dauerzustand verkommt, zersetzen sich die positiven Eigenschaften des empfundenen Glücks recht schnell und übrig bleibt nur ein Gefühl der Leere.“

Samuel: „Ist das der Grund dafür, daß so viele Beziehungen scheitern?“

Samuel: „Natürlich nicht NUR das. Aber, ja. Wäre der Mensch eher dazu bereit, sich mit Zufriedenheit zufrieden zu geben, als dem Glück hinterher zu rennen wie eine billige Nutte ihrem Zuhälter, wäre das Leben für viele von uns leichter.“

Samuel: „Soll es denn leicht sein, das Leben?“

Samuel: „Ich wüßte nicht, warum man es sich auf Deiwel-Komm-Raus selbst unnötig erschweren sollte. Die stetige Jagd nach dem Optimum, dem Idealfall … ein Auswuchs des aufgrund diffuser Leistungsmaxime zerfressenen Gesellschaft.“

Samuel: „Man wird halt fett.“

Samuel: „BITTE?!?“

Samuel: „Naja, mit der Jagd aufhören und sich in die Zufriedenheit begeben … führt zu Müßiggang und zu Fettleibigkeit und zu Gleichmut. Sieht man ja an dir.“

Samuel: „Und?“

Samuel: „UND?! Das klingt nach Aufgabe. Scheintod. Kastration. Kann doch nix Gutes sein!“

Samuel: „Ich sags gerne nochmal … nur weil du zufrieden bist, hörst du nicht automatisch damit auf, Höhepunkte zu erleben.“

Samuel: „Aber die Intensität geht flöten.“

Samuel: „Mag sein. Allerdings nicht nur die Intensität der Höhepunkte. Auch die Tiefpunkte verlieren eine Menge von ihrem Schrecken. Die Glücksnutte an sich schwebt auf Wolken, wenn das Glück sie gerade von hinten nimmt, aber jedesmal, wenn sie hernach im Straßengraben liegt, durchleidet sie Höllenqualen. Zufriedenheit fängt dich auf, wenn du zu stürzen drohst, läßt dich dennoch manchmal ein wenig schweben.“

Samuel: „Wärst du eventuell nich trotzdem zufriedener mit nem BMI unter Schallgeschwindigkeit?“

Samuel: „Nein, das denke ich nicht. Das Einzige, was mich aus meiner Zufriedenheit reißen kann, ist das ständige Pseudo-Wellness-Geblubber von außen, welches mir sagt, ich könne oder solle nicht zufrieden sein, so wie ich lebe. Woher nehmen sich diese kackdreisten Lifestyle-Nazis überhaupt das Recht, mir meinen Gemütszustand diktieren zu mögen? Ich meine, am Ende des Tages sind die nur neidisch, weil ich keine 4 Stunden am Stück im Bad mit Fratzenbespachtelung zubringe, ordentlich lecker Zeuch in mich reinknall, trotzdem regelmäßig flachgelegt werde …“

Samuel: „Zulasten von Ommas Erspartem, wie ich annehme?“

Samuel: „… UND obendrein zufrieden bin. Schaffen die nich, deswegen wollen sie mir meine Zufriedenheit kaputt machen. Labern mich blöde mit schlaganfallartigen Endzeitprognosen zu, auf daß ichs irgendwann glaube und wieder ins Wellness-Wettrüsten einsteige und permanent unzufrieden bin, genau wie sie.“

Samuel: „Funktioniert’s?“

Samuel: „Mach dir da mal keine falschen Hoffnungen. Ich sterbe lieber zufrieden mit 45, als 90 Jahre lang im Straßengraben der Glücksgefickten zu siechen.“

Samuel: „Bist du nicht erst kürzlich 41 geworden?“

Samuel: “ … … … … … öhm … ja. Warum?“

Samuel: „Dann will ich dir nicht länger deine Zeit stehlen. Vielen Dank für das Gespräch.“

Samuel: „Arschloch!“

Samuel: „Masochist!“

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